Editorial aus Schiff&Hafen 7-8/2022: Kühle Aussichten

Kathrin Lau, Chefredakteurin

Während die Bundesländer in die Ferien starten und die Sommerpause, zumindest kurzfristig, für Entspannung und Erholung sorgen sollte, lassen die anhaltenden geopolitischen Turbulenzen wenig Raum, um zur Ruhe zu kommen.

Das planmäßige Abschalten der Ostsee-Pipeline „Nord-Stream 1“ für lang angekündigte notwendige Wartungsarbeiten findet zum Zeitpunkt großer Sorge um die Gasversorgung und einen möglicherweise dauerhaften Lieferstopp statt. Wenn diese Doppel­ausgabe von Schiff&Hafen am 26. Juli erscheint, wird bereits klar sein, ob seit dem 21. Juli – wie angekündigt – das Gas aus Russland wieder durch die Pipeline fließt oder nicht.

Was ein möglicher kompletter Lieferstopp und eine daraus resultierende Gasknappheit – spätestens im Winter – für Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft haben könnte, ist derzeit noch schwer absehbar. Prognosen gibt es reichlich; die einen enden in Horrorszenarien, andere beschwichtigen.

Fest steht allerdings, und so erklärte es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bereits Ende Juni bei der Ausrufung der Alarmstufe des Gas-Notfallplans, „Gas ist von nun an ein knappes Gut.“

In diesem Zusammenhang ist auch die jüngst beschlossene EU-Taxonomie zur Einstufung von Gas und Atomenergie als klima­freundlich genau zu betrachten. Ab 1. Januar 2023 gilt eine begrenzte Reihe von Anwendungsmöglichkeiten von Gas und Atomenergie unter „strengen Bedingungen“ als nachhaltige „Übergangstechnologie“.

Der Rechtsakt ist bei den Mitgliedsstaaten umstritten; Kritiker sorgen sich um die Glaubwürdigkeit des Ökosiegels für klimafreundliche Investitionen. Und während die Bundesregierung Kernenergie weiterhin als nicht nachhaltig betrachtet und daran festhält, auch die verbleibenden Kraftwerke wie geplant vom Netz zu nehmen – anders als Frankreichs Präsident Emmanuel Ma­cron, der noch im Februar von einer „Renaissance der Atomenergie“ im Nachbarland gesprochen hatte – wird Erdgas als wichtige Brückentechnologie auf dem Weg zur CO2-Neutralität bewertet.
Die Entscheidung des Europäischen Parlaments wird sich auch auf die Finanzierungsbedingungen für LNG-Tankschiffe und LNG-Infrastruktur auswirken. Auch Häfen können von der Taxonomie profitieren, wenn Investitionen dem Einsatz von emissionsfreien Fahrzeugen dienen, wenn also Stromladepunkte oder Wasserstofftankstellen eingerichtet werden.

Als Klassifizierungsinstrument sollte die EU-Taxonomie globale Nachhaltigkeitsstandards setzen, nicht zuletzt, um der Erderwärmung und einem potenziellen Klimakollaps entgegenzuwirken. Mit dem Krieg in der Ukraine und der damit einhergehenden Frage nach der Versorgungssicherheit und Energieautonomie wurden in den vergangenen Monaten notwendigerweise vermeintlich feste Überzeugungen auf den Prüfstand gestellt – von Politikern und Bevölkerung.

Grundsätzlich muss aber die Frage erlaubt sein, ob diese jüngste Taxonomie-Entscheidung die Energiewende im schlimmsten Fall bremst bzw. keinen dringend benötigten Investitionsanreiz für erneuerbare Energien mehr darstellt. Wünschenswert wäre hier eine erneute Betrachtung zu gegebener Zeit.

Verhalten optimistische energiepolitische Nachrichten kommen indes aus der Offshore-Windindustrie, deren Vertreter vom nun wieder anlaufenden Ausbau auch langfristige Perspektiven für die Zulieferindustrie erwarten. Allerdings bleibt auch hier ein Hemmschuh: Mit dem Ausschreibungsdesign des novellierten Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) wird künftig der Preis für den Ausbau der Flächen in Nord- und Ostsee an erster Stelle stehen – ähnlich wie bei den Versteigerungen der Mobilfunklizenzen – kommentieren die entsprechenden Branchenorganisationen. Projektierer müssen also erst Geld auf den Tisch legen, um überhaupt den Zuschlag für den Bau eines Offshore-Windenergieprojekts zu erhalten.

Zudem fehlen der Branche weiterhin qualifizierte Fachkräfte und Nachwuchs: In den vergangenen drei Jahren sind nach offiziellen Angaben über 3000 Arbeitsplätze verloren gegangen.

Ohne entsprechende politische Maßnahmen und Förderungen wird es trotz der hohen Ambitionen aller Beteiligten fraglich sein, ob die avisierten Ausbauziele im gesteckten Zeitrahmen zu erreichen sind. Bei allen aktuellen Bemühungen, kurzfristig eine Lösung für die ausreichende Energielieferung an Industrie und Privathaushalte zu finden, darf nicht vergessen werden, dass eine wirklich nachhaltige Versorgung schlussendlich nur durch regenerative Quellen ermöglicht werden kann.

 

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